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Steillagen-Weinbau

Der Blick vom steilen Hang auf den Markt

Welchen Weinbau wollen wir uns leisten? Was ist der Verbraucher bereit zu bezahlen? Um diese Fragen kreiste eine Diskussionsrunde im März in der alten Kelter in Stuttgart-Rohracker. Eingeladen hatte das Europe Direct Informationszentrum Stuttgart. Die Einrichtung kümmert sich darum, Europa und seine Bürger zusammenzubringen, in diesem Fall zum Thema Weinbau.
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Die sachkundige Runde in der alten Kelter in Stuttgart-Rohracker war nicht immer einer Meinung, v.l.: Timo Saier, Markus Wegst, Gilles Theilmann, Peter Hauk und Jens Schaps.
Die sachkundige Runde in der alten Kelter in Stuttgart-Rohracker war nicht immer einer Meinung, v.l.: Timo Saier, Markus Wegst, Gilles Theilmann, Peter Hauk und Jens Schaps.Singler
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Der Veranstaltungsort war gut gewählt. Die Weingärtnergenossenschaft Rohracker bewirtschaftet fünf Hektar Reben, allesamt Steillagen. Für Ausflügler und Spaziergänger sind Weinbergsmauern und Terrassen ein landschaftlicher Genuss. Aber ökonomisch ist diese Kultur eine Herausforderung. Das wissen die Verantwortlichen nur zu gut. Angesprochen auf die Wirtschaftlichkeit des von Handarbeit geprägten Steillagenweinbaus in Rohracker antwortete der Aufsichtsratsvorsitzende, Markus Wegst: „Wir freuen uns schon über ein kleines wirtschaftliches Plus.“

Die WG Rohracker ist eine Gemeinschaft von 30 Freizeitwinzern. Im Hauptberuf verdienen sie ihre Weckle nicht mit dem Weinbau, sondern sind Weingärtner im Nebenerwerb. Das muss kein Nachteil sein. Aber möglicherweise ist es ein Hinweis, dass sich nicht mechanisierbare Steillagen im Haupterwerb nicht rechnen.

Dreifache Kosten in der Terrasse

Timo Saier sieht den Steillagenweinbau kritisch. Der studierte Önologe leitet seit eineinhalb Jahren das städtische Weingut in Stuttgart. Der 39-Jährige hat in seinem Beruf schon viel gesehen, war auf mehreren Kontinenten unterwegs, arbeitete in der Steiermark und der Pfalz, in ökologisch und konventionell geführten Weingütern. Er sagt seine Meinung ohne Umschweife: „Kein Mensch der Welt wird auf Dauer etwas machen, wenn es sich nicht rechnet. In der Terrasse haben wir bis zu dreifache Kosten im Vergleich zum Direktzug.“

Übersetzt heißt das, die Flasche Wein aus solchen Lagen müsste 30 statt 10 Euro kosten. Nach Saiers Aussage ist der Direktzug bis zu Neigungen von 60 Prozent möglich, ohne den Fahrer zu gefährden. Zudem werde unter dem Klimawandel die Terrasse ihren klimatischen Vorteil verlieren.

Für den Franzosen Gilles Theilmann von der Winzergenossenschaft Cleebourg lassen sich die Weinpreise nicht beliebig erhöhen. Bei der Genossenschafft im Nordelsass an der Grenze zur Pfalz ist nach drei kleinen Ernten der Wein knapp. Dennoch setzt die örtliche Kaufkraft im Verkauf Grenzen. Für den Elsässer Theilmann liegen die maximal erzielbaren Preise bei 8 bis 10 Euro je Flasche Wein.

Die Steillage im Paket verkaufen

Um die Verbraucher für höhere Preise zu begeistern, müsse man mehr bieten als nur Wein. Dr. Jens Schaps plädiert dafür, den potenziellen Kunden ein Paket aus Kultur, Landschaft und Wein zu verkaufen. Der Rheinländer kennt sich aus in Marktthemen. Seit drei Jahren ist der Agrarökonom in der EU-Kommission für Agrarmärkte zuständig.

Auch Landwirtschaftsminister Peter Hauk sieht im Marketing ein Potenzial, um die Wirtschaftlichkeit dieser Agrarsparte zu heben. Er setzt auf mehr Eigenwerbung, um Produkte aus dem Land wieder bekannter zu machen. „Wir verkaufen unsere Weine unter Wert, weil wir uns nicht trauen, 10, 12 oder 15 Euro dafür zu verlangen“, appellierte er zu mehr Mut in der Vermarktung. Kein Mitlied hat er für Dumpingpreise: „Wer seinen Wein für zwei Euro verkauft, ist selbst schuld.“

Als geradezu schädlich für die Weinvermarktung wertet der Minister das Selbstbild, das die Landeshauptstadt Stuttgart abgibt. Wer von außerhalb nach Württemberg kommt, weiß nicht, dass man hier gut essen und trinken kann. Stattdessen kommen den Gästen Begriffe wie Feinstaub und Baustelle in den Sinn.

Anerkennung und Motivation

Die Europäische Union und das Land wollen den Weinbau in den Steillagen soweit als möglich erhalten. Jährlich fließen dazu aus der EU-Kasse 40 Mio. Euro in den deutschen Weinbau. Allein 10 bis 12 Mio. Euro davon nach Baden-Württemberg. Für Jens Schaps ist das Geld gut angelegt. Die Weinbauförderung laufe nach seiner Ansicht „sehr gut“. Denn es werde in die Vermarktung und die Rationalisierung investiert. Mit dem Geld werde gleichzeitig die Selbstverantwortung in der Branche gestärkt. Für die neue EU-Förderperiode ab dem Jahr 2020 sei keine grundsätzliche Änderung der Weinmarktordnung absehbar.

Die Steillagenförderung im Südwesten wurde auf der Veranstaltung nicht von jedem gelobt. Manch einem ist sie zu niedrig. Den von 900 Euro auf aktuell 3000 Euro je Hektar erhöhten Satz will der Landwirtschaftsminister deshalb als „Anerkennung und Motivation“ verstanden wissen. Entscheidend für die Zukunft des Weinbaus im Land sei, dass die Bevölkerung die Herausforderungen für Weingärtner und Winzer versteht, und beim Weinkauf honoriert. Gelingt dieses Umdenken nicht, habe die hiesige Weinkultur wenig Chancen im Wettbewerb mit den Weinen aus den Flachlagen in Südeuropa.

Wegebau und Sortenwahl

Markus Wegst von den Weingärtnern in Rohracker ist immer noch begeistert von der einzigartigen Landschaft in dem Stuttgarter Ortsteil. Die Begeisterung über die artenreichen, nicht flurbereinigten Kulturflächen hilft dem hauptberuflichen Landschaftspfleger über die Schwächen des Standorts hinweg. So fehlt vielen der 6 bis 30 Ar großen Rebstücke ein direkter Zugang. Arbeitsgerät muss teilweise zu Fuß in die Reben transportiert werden. "Der Wegebau in einer vermeintlich unproduktiven Landschaft" sei vernachlässigt worden, beklagt er. In diesem Fall braucht die Gemeinschaft politische und fachliche Unterstützung von außen.

Die Sortenwahl hingegen sieht Wegst als "eigene Aufgaben". Um die Arbeitsspitzen für die Feierabendwinzer zu brechen, pflanzen sie statt Trollinger rote und weiße pilzwiderstandsfähige Sorten, sogenannte Piwis nach. Die Piwis müssten seltener gegen Pilzkrankheiten gespritzt werden. Wegst plädiert für ein Nebeneinander von alten und neuen Sorten. Grundsätzlich müsse jede Genossenschaft selbst entscheiden, was sie macht.

Um Nachwuchs für den Steillagenweinbau zu gewinnen, hat die WG Rohracker als vermutlich kleinste WG in Württemberg einen Einsteigerkurs organisiert. In Zusammenarbeit mit der Volkshochschule lassen sich die Teilnehmer einmal im Monat von einem sachkundigen Weingärtner anleiten. Zum Preis von 230 Euro lernen sie alle Arbeiten kennen vom Rebstock bis zum Wein in der Flasche.

Diskussion zur Förderung und Piwis

Zu der Veranstaltung waren rund 100 Zuhörer in die alte Kelter nach Stuttgart-Rohracker gekommen. Darunter einige weinkundige Landtagsabgeordnete und Vertreter der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau aus Weinsberg. 

In der Diskussion erinnerte Zuhörer Fritz Kurrle daran, dass der terrassierte Weinbau nicht nur im Stuttgarter Ortsteil Rohracker eine Rolle spielt. Von den 400 Hektar Weinbau in der Landeshauptstadt falle jedes fünfte Hektar in eine Steillage. Nach Kurrles Ansicht sollten die EU und das Land den Mauerweinbergen finanziell noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Etwa indem die Förderung geteilt werde mit einem Schwerpunkt für die steilen Lagen. 

Das Allheilmittel Piwi sieht Kurrle kritisch. Vor 23 Jahren habe ein Gruppe Stuttgarter Weingärtner in Hamburg die Piwi-Sorte "Regent" gepflanzt. "Seit zehn Jahren", erinnerte der Zuhörer, "müssen wir dort gegen Mehltau spritzen." Kurrle wehrte sich auch gegen das schwindende Engagement klassischer schwäbischer Rebsorten. Er meinte, "wir müssten mehr hinter unserem Trollinger stehen".

Der Landwirtschaftsminster hingegen stellt einen gesellschaftlichen Trend zu weniger Pflanzenschutz im Weinbau fest. "Das muss man den Winzern nahebringen", sagte Peter Hauk. Deshalb werde der Anbau von Piwi-Sorten wichtiger.

 

 

 

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