
Weinbau im Jahr 2030
Der WVW hat in den vergangenen Monaten gemeinsam mit dem Badischen Weinbauverband und dem Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband ein Thesenpapier zum Weinbau im Jahr 2030 verfasst. Das Papier dient als Grundlage für die aktuell anstehenden politischen Gespräche zur Ausrichtung der Förderpolitik.
von BWV, BWGV, WWV erschienen am 20.03.2024Der globale, europäische und deutsche Weinbau ist derzeit von wesentlichen Veränderungen betroffen. Weltweit führt der Klimawandel einerseits zu massiven Problemen bei der Traubenproduktion in den traditionellen Weinanbaugebieten, während sich in anderen Regionen neue geschützte Ursprungsbezeichnungen gründen.
Ein verändertes Verbraucherverhalten in Kombination mit Restriktionen von Werbemaßnahmen durch eine einschlägige Alkoholpolitik führen zu einem weltweit sinkenden Weinkonsum. Gesellschaftliche Erwartungen und Haltungen spiegeln sich in einschränkenden Rahmenbedingungen, beispielsweise beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, wider. Im allgemeinen Strukturwandel wuchsen weinbauliche Betriebe in den vergangenen Jahren in ihrer Größe, Nebenerwerbsbetriebe steigen vermehrt aus der Traubenproduktion aus. Gleichzeitig werden vor allem topografisch anspruchsvolle Lagen verstärkt aus der Produktion genommen und gerodet.
Dieses Papier befasst sich mit möglichen Maßnahmen, um den Weinbau in Baden-Württemberg mittel- und langfristig für die Betriebe wirtschaftlich attraktiv zu gestalten.
Rückgang der Rebfläche in Baden-Württemberg
Eine sich verschlechternde Erlössituation, ungünstige politische Rahmenbedingungen und bürokratische Hürden sowie eine schwierige globale Marktentwicklung, zwingen Weinbaubetriebe zur Aufgabe. Flächen in beiden Anbaugebieten werden aus der Bewirtschaftung genommen. Bereits heute werden weniger als zwei Prozent der Fläche jährlich neu bestockt. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Betriebe und der anhaltenden Inflation werden mittelfristig (noch) weniger Flächen umstrukturiert und eine geringere Anzahl größerer Investitionen getätigt. Folglich werden aus dem Struktur- und Qualitätsprogramm (SQW) weniger Mittel abgerufen. Mit dem Flächenrückgang gehen höhere Stückkosten aufgrund einer geringeren Auslastung der Vermarktungsbetriebe einher. Für die traubenproduzierenden Betriebe könnte sich im schlimmsten Fall eine Reduzierung auf der Einnahmenseite ergeben.
Mögliche Gegenmaßnahmen sind:
- Förderung einer mehrjährigen Brachebegrünung, um einerseits die Flächen gepflegt zu halten und andererseits den Betrieben die Möglichkeit zu eröffnen, vorhandene Pflanzrechte mittelfristig wieder zu nutzen.
- Aufgelassene Flächen sind geeignet, um dort beispielsweise notwendige Biotopvernetzungen, Blühflächen oder Habitatsflächen umsetzen zu können. Unter der Prämisse, dass benachbarte weinbaulich genutzte Kerngebiete in ihrer Bewirtschaftung und insbesondere beim Pflanzenschutzmittel-Einsatz nicht negativ beeinträchtigt werden.
- In Zeiten täglicher Flächenversieglung gewinnen landwirtschaftliche Flächen zur Ausweisung von Ökopunkten an Bedeutung. Hier gilt ebenfalls die Prämisse, dass benachbarte Kerngebiete nicht negativ beeinträchtigt werden oder eine Konkurrenz zwischen Erlösen aus Ökopunkten und der Traubenproduktion entsteht.
- Einführung einer Rodungsprämie mit dem Ziel, Kerngebiete zu erhalten. Gerodet werden sollten ausschließlich unwirtschaftliche Flächen, wie beispielsweise Spitzzeilen.
- Im Allgemeinen müssen Betriebs- und Teilbetriebsaufgaben kontrolliert unterstützt werden. Aufgrund des Wertverlusts von Weinbergsflächen und fehlenden Nachfolgern stehen viele Betriebsinhaber vor einem nicht gesicherten Alterseinkommen. Denkbar sind Beratungsangebote, steuerrechtliche Anpassungen sowie die Förderung von Kooperationen mit beispielsweise Landschaftserhaltungsverbänden.
- Mit der Rodung einhergehend wird vermehrt die konsequente Umsetzung der Pflegepflicht nach dem LLG an Bedeutung gewinnen. Vorhandenes Recht, auch zur Reblausbekämpfung muss durch die Kommunen verpflichtend ordnungsrechtlich umgesetzt werden. Die Landschaftspflegerichtlinie muss bei Bedarf an die möglichen Veränderungen der Kulturlandschaft angepasst werden.
- Zum Erhalt der Kerngebiete, zur Bildung größerer Parzellen und zur Installation von Bewässerungsanlagen muss ebenfalls der „Freiwillige Flächentausch“ verstärkt gefördert und gegebenenfalls forciert werden. Gleiches gilt für die Umsetzung von Zweitbereinigungsverfahren in der Flurneuordnung. Ansatzpunkte für die Lenkung können hierbei auch im SQW (hier: U+U) verankert werden. Die Förderung nach U+U sollte perspektivisch als Anreizsystem den Anbau von Piwi-Rebsorten und alternativer Erziehungssysteme fokussieren. Denkbar wäre auch die Förderung von Verfahren zur Grünveredlung. Reihenabstände müssen als Förderkriterium hinterfragt werden.
- Der Flächenrückgang wird zuerst Steillagen und ökonomisch schwer zu bewirtschaftende Lagen betreffen. Diese müssen dort erhalten werden, wo sie landschafts- und imageprägend sind. Deren Erhaltung ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu sehen und liegt somit auch in der Verantwortung von touristischen Organisationseinheiten, Kommunen und dem Naturschutz.
- Die (Offizial-)Beratungsangebote müssen erhalten bleiben, um den Winzern kontinuierlich angepasste Antworten und Strategien auf die jeweiligen Herausforderungen liefern zu können. Gleichzeitig muss die ökologische Beratung ausgebaut und in die (Offizial-)Beratung integriert werden. Eine Verknüpfung digitaler (Vitimeteo) und analoger Beratung muss auch unter Einsatz künstlicher Intelligenz sichergestellt werden.
- Das Weingesetz muss sicherstellen, dass die Neuanpflanzungsquote an das Marktgeschehen angepasst und perspektivisch auf ein absolutes Minimum reduziert wird. Vorrang in der Traubenproduktion haben die bestehenden Kerngebiete.
- Die Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen muss gewährleistet werden. Beim Biodiversitätsstärkungsgesetzes muss die Umsetzbarkeit der möglichen Pflanzenschutzmittelreduktion dauerhaft validiert werden. Es bedarf grundsätzlich eine ausreichende Anzahl an wirksamen Pflanzenschutzmitteln für den konventionellen und den biologischen Weinbau. In diesem Zusammenhang ist die Dauer der Genehmigungsverfahren zur Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel signifikant zu reduzieren.
- Vorrangig auf schwer zu bewirtschaftenden Lagen muss, im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung (Erosion, Nährstoffauswaschung), der Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln auch in Zukunft möglich sein.
- Die Förderung der Verwirrmethode muss an die neue Situation mit wachsenden Brachflächen und fehlenden Arbeitskräften angepasst werden. Hierzu muss die Forschung nach neuen Technologien (beispielsweise großflächig wirksame Dispenser) intensiviert und der Aufwand für die Verwirrgemeinschaften maximal minimiert werden.
Strukturwandel und demografische Entwicklungen berücksichtigen
In den kommenden Jahren wird die Zahl der aktiven Betriebe weiter rückläufig sein, vorrangig aktuell mittlere Weinbaubetriebe werden weiterwachsen. Denkbar ist aber auch, dass Inhaber großer Betriebe Teilflächen abgeben und sich diversifizieren. Aufgrund fehlender Auszubildenden und der abnehmenden Anzahl an teils unentlohnten Familienarbeitskräften werden im Weinbau zukünftig weniger Personen tätig sein.
- Fusionen und Betriebsaufgaben werden verstärkt eintreten: Die Schaffung größerer Einheiten bei Traubenerzeugern und Vermarktungsbetrieben senkt Stückkosten, auch in Teilbereichen. Die Förderung dauerhaft ökonomisch nachhaltiger Betriebe muss priorisiert werden. Kooperationen müssen gezielt gefördert werden, Machbarkeitsstudien als „Gedankenanstoß“ sollten im Grundsatz stärker gefördert werden.
- Die Umsetzung von Fusionen und Veränderungen in den Weinbau- und Vermarktungsbetrieben soll operativ gefördert werden. Es müssen Anreize für die Realisierung notwendiger Strukturveränderungen geschaffen werden. Die Förderung des Rückbaus oder des Transportes von größeren Gebäuden und Wirtschaftsgütern wäre denkbar. Bei Großprojekten sollte eine Machbarkeitsstudie, beziehungsweise eine einschlägige Beratung des Vorhabens gefördert werden.
- Die Gewinnung von Fach- und Arbeitskräften gestaltet sich zunehmend schwierig, weshalb unter anderem über Aus- und Weiterbildungsangebote die Attraktivität der Branche gefördert werden muss.
- Fehlende Fachkräfte und steigende Löhne erhöhen die Notwendigkeit der Technologisierung: Maschinengemeinschaften und Lohnunternehmen müssen förderfähig sein, Drohnenzulassungen sind zu vereinfachen.
- Die im Biodiversitätsgesetz verankerte Maschinenförderung muss zeitnah angeboten werden. Durch den Einsatz neuer Techniken ist auch eine Kostenoptimierung zu erwarten.
- Die Diversifizierung und der Zuerwerb in Form von außerlandwirtschaftlichen Tätigkeiten der Betriebe (Lohnarbeiten, Tourismus, Energie) wird zunehmen. Das Bauen im Außenbereich muss liberalisiert werden, ebenso die Durchführung von Events und touristischen Angeboten. Entsprechende schnelle und unkomplizierte Hilfen durch den Aufbau geeigneter Kompetenzen in den unteren Behörden/Ordnungsämtern müssen realisiert werden. Es bedarf schnellerer Genehmigungen bei geplanten Vorhaben.
- Besen- und Straußwirtschaften sichern das Einkommen von vielen Winzerfamilien. Die Öffnung in mehr als nur zwei Zeitabschnitten pro Jahr kann das Vermarktungspotenzial durch saisonale Angebote erhöhen und gibt den Winzern mehr Flexibilität in deren betrieblichen Abläufen.
- Allgemein muss die Digitalisierung von Anträgen und Dokumentationen bei der Qualitätsweinprüfung und in der Weinbaukartei zügig vorangetrieben werden. „The Länd“ sollte hier eine Vorreiterrolle übernehmen.
- Betriebsinhaber und -nachfolger brauchen politische Verlässlichkeit sowie Planungssicherheit für ihre Zukunftsentscheidungen! Zulassungen und Genehmigungen benötigen Zeithorizonte, die als Basis für betriebliche Investitionen herangezogen werden können.
Faire Preise und neue Absatzkanäle sichern das Einkommen
Der Weinmarkt steht weltweit unter einem massiven Druck. Dieser wird aufgrund der aktuell weltweiten Überproduktion, der rückläufigen Nachfrage sowie sich ändernder Verbraucherpräferenzen nicht geringer werden. Vor allem ausländische Weine, die mit deutlich geringeren Produktionsstandards und geringerem finanziellem Aufwand hergestellt werden, schrauben die Preisschraube fortlaufend nach unten.
- Im Lebensmittelhandel dominiert die Abnehmerseite aufgrund des Oligopols die Preise. Die Marktmacht ist seitens der Politik kritisch zu hinterfragen. Es muss sichergestellt werden, dass die Preise für die Erzeuger auskömmlich sind.
- Für die herausragenden Weinqualitäten müssen neue Absatzkanäle forciert werden. Die Absatzförderung spielt eine entscheidende Rolle. Allgemeine Werbemaßnahmen, die Förderung des Exports in neue Zielgebiete und Maßnahmen, die die Bekanntheit der Weinbaugebiete steigern, müssen in den Fokus der Förderung gerückt werden. Der Fokus der Produktkommunikation liegt auf den Herkünften Baden und Württemberg.
- Es müssen die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden, dass die Schutzgemeinschaften die Ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen und die Herkunftskommunikation vorantreiben können. Hierzu bedarf es einer ausreichenden Finanzierung über allgemeinverbindliche Abgaben sowie einer grundsätzlichen staatlichen Unterstützung.
- Durch Bündelung von Tourismus, Weinbau, Gastronomie und weiteren Partnern können Synergien gehoben und neue Absatz- und Kommunikationskanäle erschlossen werden, die für alle Branchen einen großen Nutzen haben.
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