
„Lieber einmal unromantisch als für immer armâ€
Rund 80 Prozent der in einen landwirtschaftlichen Betrieb eingeheirateten Frauen in Deutschland arbeiten ohne einen Ehevertrag oder eine Regelung für Trennung oder Todesfall. Im Fall von Trennung, Scheidung oder Tod des Partners stehen sie oft mit leeren Händen da. Die traditionellen Strukturen dahinter sind tief verankert. Immer mehr Frauen machen sie sichtbar. Nicht nur für sich. Denn von mehr Gleichberechtigung profitiert die ganze Branche.
von Johanna Wies Quelle Thünen-Studie erschienen am 04.09.2025„Die Warnsignale waren von Anfang an da, aber ich habe sie nicht erkanntâ€, sagt Ida Seifert (Name geändert). Schon früh wurde sie von einer Bekannten gewarnt: „Lass dich nicht ausnutzen, lass dich richtig anstellen.†Damals fand sie das übergriffig. Heute sagt sie: „Sie hatte recht. Ich war jung und habe vieles hingenommen.†Wie viele andere stieg sie in den Betrieb ihres Mannes ein, führte Haushalt, Büro und Kinder – zunächst auf Minijob-Basis, ohne Absicherung. Erst nach dem dritten Kind ließ sie sich offiziell anstellen – unterbezahlt, aber sozialversichert.
Alles für den Betrieb, nichts fürs Alter
Wenn alles in den Betrieb fließt, bleibt fürs Alter nichts übrig: Fast ein Drittel der Ehefrauen stuft laut der Studie „Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland†(Thünen-Institut, 2023) die eigene Einkommenslage als schlecht ein. Nur 44 Prozent fühlen sich fürs Alter ausreichend abgesichert. Dabei ist laut der Landwirtschaftszählung von 2020 jede dritte Arbeitskraft auf deutschen Höfen weiblich. Viele Frauen arbeiten ohne Absicherung – etwa über Minijobs, die Versicherungspflichten umgehen. Fördermöglichkeiten wie Zuschüsse zur Alterskasse (§ 32 ALG) sind kaum bekannt, weiß Dr. Zazie von Davier, Mitautorin der Studie.
Ida Seifert investierte rund 40.000 Euro Privatvermögen in den Betrieb ihres Mannes. Dieser bestreitet dies heute – die Zahlung ist belegt, ein Vertrag über den Verwendungszweck fehlt. Zum Glück hatte sie früh vorgesorgt: Bausparverträge, Lebens- und Rentenversicherungen hatte sie bereits vor der Ehe abgeschlossen. 2019 kaufte sie ihr Elternhaus, allein auf ihren Namen.
Flucht aus tradierten Rollenmuster
„Ich wollte nie einen Landwirt datenâ€, sagt Lena Göth. Sie ist auf einem Weingut in Rheinhessen aufgewachsen. Schon früh erlebte sie, wie Frauen in der Landwirtschaft oft auf traditionelle Rollen festgelegt werden. Wenn sie auf Weingütern half, wurde sie nie bei Weinproben eingeteilt, sondern stets im Service oder in der Küche. Bei der Partnerwahl hatte sie einen Landwirt von vornherein ausgeschlossen. Nach dem Studium der Erwachsenen- und Medienpädagogik wollte sie eigentlich nicht zurück in die Landwirtschaft. Und dann passierte es doch: Sie verliebte sich in Winzer Sebastian Baum und kehrte 2018 zurück. Von Anfang an stellte sie klar: „Ich steige nur ein, wenn wir gemeinsam etwas verändern.â€
Gleichstellung ist gesünder für alle
Beide verhandelten Gehalt, Altersvorsorge und Care-Arbeit. „Er hatte keine Zeit für Care-Arbeit, dann muss er mehr zur Finanzierung beitragenâ€, lautete Göths einfache Rechnung. Sie stellten eine Haushaltshilfe ein, bezahlt vom Partner. Drei Jahre lang ließ sich das Paar beraten und tüftelte an einer fairen Lösung für die Ehe – inklusive Ehevertrag. Das Resultat: Göth wird wie eine externe Arbeitskraft bezahlt.

Heute führen Göth und Baum gemeinsam ein Weingut und einen Abfüllbetrieb und legen den Fokus dabei auf Gleichstellung. „Wir gehen diesen Weg gemeinsam. Es ist ein Lernprozess, der uns beide bereichertâ€, unterstreicht Göth und betont: „Wenn Frauen ausgeschlossen sind, tragen Männer die volle wirtschaftliche Verantwortung. Das erzeugt massiven Druck – emotional, sozial, finanziell.†Die psychische Belastung in der Branche ist hoch, die Suizidrate überdurchschnittlich. „Gleichstellung ist kein Geschenk an Frauen, sondern ein gerechteres, gesünderes System für alleâ€, gibt sich die Rheinhessin überzeugt.
Privatleben? Fehlanzeige!
Die starke familienunternehmerische Struktur der Landwirtschaft wird politisch gestützt, macht aber eine Trennung von Arbeit und Privatleben fast unmöglich. Als Ida Seifert im Betrieb einstieg, blühte sie auf, entwickelte eigene Ideen. Doch früh gab es Spannungen. Als ihre zweijährige Tochter ins Krankenhaus musste und sie selbst mit Komplikationen dort lag, schrieb ihr Mann nach einer Woche: „Es wird Zeit, dass du heimkommst, die Arbeit bleibt liegen.â€
Vorsorgeberaterin Wiebke Wennemer rät zu drei Schritten.
- Informieren: Risiken kennen und absichern – was passiert bei Trennung, Krankheit, Tod?
- Offener Austausch: Ehrlich reden über Geld – nicht nur mit dem Partner, am besten auch mit Frauen in ähnlichen Situationen.
- Klare Aufgabenverteilung: Auch Männer müssen Verantwortung übernehmen und sich aktiv bei Care-Arbeit und finanzieller Absicherung beteiligen. Wie die Aufgaben in der Familie später verteilt werden, sollte man möglichst früh in der Partnerschaft ansprechen.
Seifert führte Haushalt, Büro, vier Kinder, offiziell lange auf Minijob-Basis, mit zehn bis zwölf Stunden Arbeit pro Tag. Jahrelang litt sie an Erschöpfung, Infekten, Fieber. „Mein Mann hat mich systematisch krank gemacht. Ich musste einfach funktionieren.†Baby Nummer drei kam an einem Freitag, montags saß die die Wöchnerin wieder am Schreibtisch. Trotz Warnung der Hebamme arbeitete sie weiter – bis zur Thrombose. Mit der Pandemie verschärfte sich alles. Im Winter 2021 lag sie mit hohem Fieber im Bett. Ihr Mann nahm darauf keine Rücksicht: „Du musst aufstehen. Ich fahre morgen den Wein weg.†Kurz darauf verließ sie den Hof – und ihn.
Fairer Lohn für Familienarbeit
Wiebke Wennemer von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen berät zu Absicherung, Eheverträgen und Hofübergabe. Der Weg in die Abhängigkeit beginnt oft schleichend, weiß sie: „Gut ausgebildete Frauen entscheiden sich für ein Kind, planen Teilzeit, und stehen plötzlich ohne Einkommen da.†Viele Paare rechnen mit Elterngeld, das jedoch entfällt, wenn der Betriebsgewinn die Grenze von 175.000 Euro übersteigt. Wennemer warnt: „Familienarbeit muss entlohnt werden – vom Partner. Sonst gehen Frauen ein enormes Risiko ein.â€
© privatFragen Sie sich: „Könnte ich mit dem leben, was mir im Ernstfall zusteht?†Wiebke Wennemer berät bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zu Absicherung, Eheverträgen und Hofübergabe
Soziale Absicherung schafft Augenhöhe
Laut der Thünen-Studie haben nur 17 Prozent der befragten Ehefrauen einen Ehevertrag oder eine Regelung für den Trennungs- oder Todesfall. Rund 80 Prozent bleiben jahrzehntelang ohne rechtliche Absicherung. Im Scheidungsfall greift meist die Zugewinngemeinschaft. In der Landwirtschaft ist diese jedoch komplex: Höfe bleiben oft im Familienbesitz und werden nicht geteilt. Statt Marktwert zählt der inflationsbereinigte Ertragswert (Paragraf 1376 BGB), oft mit deutlich geringeren Ausgleichszahlungen für Ehepartnerinnen. Wennemer rät: „Wer in einen landwirtschaftlichen Betrieb einsteigt, sollte sich fragen: Könnte ich mit dem leben, was mir im Ernstfall zusteht? Wenn nicht: Regeln Sie es vertraglich.†Soziale Absicherung schafft auch eine Beziehung auf Augenhöhe und stärkt die Partnerschaft, ermutigt sie.
Branche will weiblicher werden
Auch der Bauernverband räumt inzwischen ein: Er muss jünger und weiblicher werden. „Es geht nicht um individuelle Schuld, sondern um strukturelle Ausschlüsseâ€, erklärt Lena Göth. „Es tut sich etwas, aber viel zu langsam.†Erste Coaching-Angebote gibt es, etwa von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), doch viele Frauen wissen nichts davon. Ein bundesweites Förderprogramm fehlt. Als Reaktion auf die Thünen-Studie hat die SVFLG eine neue Broschüre zur sozialen Absicherung veröffentlicht.

Aufklären statt Anschuldigungen
Auch Zazie von Davier sieht Fortschritte, aber tief verankerte Rollenbilder seien schwer zu hinterfragen: „Was als normal gilt, ist oft ungerecht. Wer das infrage stellt, erschüttert leicht das eigene Lebensmodellâ€, weiß sie und fordert deshalb Aufklärung mit Fingerspitzengefühl statt Schuldzuweisungen. Lena Göth verbindet die Liebe zur Landwirtschaft mit einem klaren Blick auf das, was sich ändern muss. „Beides darf nebeneinanderstehen, die wunderschönen Seiten dieser Branche genauso wie die Kritik an dem, was nicht gut läuft.â€
Kein Abschied für immer
Trotz schlechter Erfahrungen wollte Ida Seifert in der Weinbranche bleiben. Heute leitet sie eine Geschäftsstelle, arbeitet Vollzeit im Homeoffice mit freier Zeiteinteilung. „Ich war ständig krank – seit der Trennung kein einziges Malâ€, erzählt sie dreieinhalb Jahre später. Die Scheidung ist vollzogen, doch der Zugewinn noch ungeklärt. Heute lebt Seifert in einer neuen Beziehung – mit klaren Grenzen: „Ich gebe meine finanzielle Sicherheit nie wieder komplett aus der Hand.†„Die rosarote Brille hält keine Ehe durch – besser absetzen, bevor der Bauch wächstâ€, warnt zum Schluss noch einmal Wiebke Wennemer. Und ihre Kollegin Anne Dirksen stimmt ein: „Lieber einmal unromantisch als später arm.â€
- https://www.svlfg.de/pm-fokus-frau; https://www.svlfg.de/infos-fuer-frauen-in-der-gruenen-branche ; SVLFG | Coaching Frauen" target="_blank">Hilfs- und Informationsangebote der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG)
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