
Gute Qualitäten bei starken Ertragsrückgängen
Die feuchtwarme Witterung der letzten Wochen hat die Lese-Dynamik auf der Zielgeraden nochmals deutlich beschleunigt. Dementsprechend war die Hauptlese in den württembergischen Weinbergen Anfang Oktober fast überall abgeschlossen. Das Fazit der 31 württembergischen Weingärtnergenossenschaften: Es lagern gute Qualitäten in den Kellern. Dies kompensiert die Enttäuschung über eine deutlich geringere Erntemenge als ursprünglich erwartet.
von red Quelle Baden-Württembergischer Genossenschaftsverband e. V erschienen am 17.10.2024„Die Weingärtnergenossenschaften haben sich in einem witterungsbedingt ungemein herausfordernden Jahr gut behauptet und schauen auf einen soliden Weinjahrgang 2024“, betont Dr. Ulrich Theileis, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV). Er erklärt: „Die heißen und sonnenreichen Spätsommerwochen kamen zum richtigen Zeitpunkt, ließen die Mostgewichte schnell ansteigen und haben zu einer sehr guten Aromareife der Trauben geführt. Aufgrund der guten Wasserversorgung in diesem Jahr haben sich die Reben gut entwickelt.“ Anlässlich der Pressekonferenz zum Weinherbst in Württemberg in den Räumlichkeiten der Weinmanufaktur Stuttgart eG macht Theileis deutlich: „Verbraucher können sich auf hochwertige württembergische Genossenschaftsweine freuen.“
Teils starke regionale Frostschäden
Deutliche Einbußen mussten die württembergischen Weingärtner beim Ertrag verkraften: Der BWGV rechnet derzeit mit einer um 25 bis 30 % geringeren genossenschaftlichen Erntemenge im Vergleich zu den Vorjahren. Theileis erklärt: „Die Spätfröste in der zweiten Aprilhälfte haben starke Spuren hinterlassen. Die 64 Millionen Liter beziehungsweise 73 Millionen Liter der Jahre 2023 und 2022 werden wir weit verfehlen. Auch im Mehrjahresvergleich wird es eine unterdurchschnittliche Erntemenge.“
Mindestens die Hälfte der Anbauflächen wurde teilweise oder vollständig durch Frost geschädigt, wobei die regionalen Unterschiede sehr stark ausgeprägt sind. Besonders stark betroffen waren die Anlagen im Enz-, Tauber- und Jagsttal, im Weinsberger Tal und in den Löwensteiner Bergen während der Frostnächte zwischen dem 21. und 24. April. Besonders bei den weißen Rebsorten sind massive Ertragseinbußen zu beklagen. Auffällig ist, dass auch sonst weniger frostanfällige Höhen- und Waldrandlagen in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Der niederschlagsreiche Winter und das warme Frühjahr haben zu einem sehr frühen Austrieb geführt, was die Frostanfälligkeit erhöht hat“, erklärt Theileis. Rebanlagen, die nicht vom Frost betroffen waren, zeigten einen raschen und positiven Vegetationsverlauf.
Hoher Infektionsdruck
Das niederschlagreichste Jahr seit Wetteraufzeichnung stellte die Weingärtner auch beim Pflanzenschutz vor große Herausforderungen. „Der Infektionsdruck durch Rebenperonospora (Falscher Mehltau) war hoch. Dies sorgte für einen immensen Mehraufwand im Weinberg – doch die Weingärtner haben großartige Arbeit geleistet und die Reben gesund gehalten“, betont der BWGV-Präsident. Mit viel zusätzlicher Handarbeit, kulturtechnischen Maßnahmen, fachlichem Austausch und Einbeziehung wichtiger Prognosemodelle haben die Weingärtner die Herausforderung gemeistert. Theileis resümiert: „Das Weinjahr 2024 zeigt erneut, dass der Grundstein für exzellente Qualität im Glas mit guter Arbeit im Weinberg gelegt wird.“
Die durchschnittlichen Mostgewichte der Hauptsorten liegen wie folgt: Riesling 77 Grad Oechsle, Schwarzriesling 81 Grad Oechsle, Spätburgunder 84 Grad Oechsle, Trollinger 70 Grad Oechsle und Lemberger 81 Grad Oechsle.
Rückgänge bei Absatz und Umsatz
In einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld verzeichnen die württembergischen Weingärtnergenossenschaften Rückgänge bei Absatz und Umsatz. Der Absatz im ersten Halbjahr 2024 lag mit 23,1 Millionen Litern Wein und Sekt etwa 3 % unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Auch der Umsatz von Januar bis Juni 2024 sank mit rund 76,5 Millionen Euro um 6,6 %. Im Gesamtjahr 2023 verkauften die württembergischen Weingärtnergenossenschaften 52,9 Millionen Liter Wein und Sekt (Vorjahr: 65,2 Millionen Euro), während der Umsatz um ein Viertel auf 176,8 Millionen Euro sank.
Weinkonsum weiter rückläufig
Zum rückläufigen Weinabsatz trägt auch die weiterhin schlechte Verbraucherstimmung in Deutschland bei, wie die Württembergische Weingärtner-Zentralgenossenschaft (WZG) betont. „Wirtschaftliche Rezession, Inflationsängste, globale Krisen, der Krieg in der Ukraine und Nahost – all diese Faktoren führen letztendlich zu einer zunehmenden Konsumzurückhaltung. Dies gilt allgemein für den Konsum, aber besonders für die Genusskategorie Wein“, erklärt Uwe Kämpfer, Vorstand Marketing und Vertrieb der WZG. „Diese Entwicklung ist besonders im Lebensmitteleinzelhandel deutlich spürbar.“
Im ersten Halbjahr 2024 setzten sich die Rückgänge bei den Weinkäufen fort: Von Januar bis Juni wurde in Deutschland laut Marktforschung 3,9 % weniger Wein gekauft als im Vorjahreszeitraum, bei deutschen Weinen betrug der Rückgang sogar 4,8 %. Der Umsatz reduzierte sich jedoch nur um 0,9 % für Wein insgesamt und um 5 % für deutschen Wein.
Prekäre wirtschaftliche Situation
„Unterm Strich ist die wirtschaftliche Situation für viele Betriebe prekär“, macht Theileis deutlich. „Die Produktionskosten sind im Jahr 2023 um etwa 30 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. In Verbindung mit einem inflationären globalen Wettbewerb und tendenziell rückläufigen Käuferschichten entzieht dies der Branche zunehmend die wirtschaftliche Tragfähigkeit.“
Theileis mahnt: „Die heimischen Weingärtnerfamilien und Betriebe können nicht alleine alles schultern. Auch Handel und Verbraucher haben es in der Hand, wie sich die regionale Weinwirtschaft weiterentwickelt.“ Dabei sieht der BWGV-Präsident nicht zuletzt den Lebensmitteleinzelhandel in der Verantwortung, partnerschaftlich zu agieren und die Betriebe vor Ort bei den Preisverhandlungen und der Zusammenstellung des Sortiments nicht gegen internationale Konkurrenz auszuspielen. „Unsere Genossenschaftsweine müssen sich vor der internationalen Konkurrenz nicht verstecken – im Gegenteil. Die Verbraucher schätzen eine gute Auswahl regionaler Genossenschaftsweine. Dies muss sich im Regal widerspiegeln.“ Zumal die Weingärtnergenossenschaften mit Produktinnovationen auch auf neue Kundenwünsche reagieren. So haben immer mehr Genossenschaften alkoholreduzierte und alkoholfreie Weine und Sekte im Angebot. Theileis: „Dies ist ein echter Zukunftsmarkt.“
Beim Thema Nachhaltigkeit sind die württembergischen Genossenschaften mit der aktuellen Markteinführung einer 0,75-Liter-Mehrwegflasche im Fachhandel und Lebensmitteleinzelhandel bundesweit in einer Vorreiterrolle. Darüber hinaus hebt Theileis die Bedeutung der Genossenschaften für die regionale Wertschöpfung und den ländlichen Raum hervor.
Mit 7598 ha werden rund zwei Drittel der Rebflächen in Württemberg von Weingärtnergenossenschaften und deren Mitgliedern bewirtschaftet. Von den 31 Weingärtnergenossenschaften bauen 15 ihre Weine im eigenen Keller aus. Dazu kommt noch die WZG. Die Zahl der Mitarbeitenden liegt bei 706. „Neben der Weinproduktion stehen unsere Genossenschaften auch für die Pflege und den Erhalt unserer einzigartigen Kulturlandschaft, was wiederum auf Lebensqualität sowie den Tourismus im Land einzahlt“, stellt der BWGV-Präsident heraus und ergänzt: „Auch viele Tourismusevents werden von der Weinbranche getragen. Weingärtnergenossenschaften sind wichtige Akteure im Tourismus.“
Wettbewerbsnachteil darf sich nicht verschärfen
Mit Unverständnis reagiert der BWGV auf die jüngsten Aussagen des Bundesarbeitsministers, den Mindestlohn ab dem Jahr 2026 auf rund 15 Euro zu erhöhen. „Gerade im handarbeitsintensiven Bereich der Sonderkulturen ist der Mindestlohn ein entscheidender Faktor. Der BWGV und die Genossenschaften stehen für faire und gute Löhne für ausgebildete Fachkräfte und damit auch zum Mindestlohn. Doch die Betriebe müssen auch ungelernten Arbeitern und somit Saisonkräften aus dem EU-Ausland den erhöhten Stundensatz bezahlen“, macht Theileis deutlich. In Deutschland und Baden-Württemberg seien die Genossenschaften ohnehin mit im europäischen Vergleich hohen Steuern, teurer Energie und hohen Lohnkosten belastet. Theileis: „Dieser Wettbewerbsnachteil darf sich nicht weiter verschärfen. Sonst drohen gerade auch im Weinbau Betriebsaufgaben.“ Er verweist auf exportorientierte Nachbarländer wie Spanien mit einem Mindestlohn von 6,87 Euro oder Italien, wo überhaupt kein Mindestlohn existiert. Theileis plädiert: „Die Politik muss für ungelernte Kräfte eine angepasste Regelung finden und die Betriebe entlasten.“
Echter Bürokratieabbau ist notwendig
Die Grenze der Belastbarkeit sieht der BWGV auch bei der Bürokratie und den Dokumentationspflichten erreicht: Mit Blick auf die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vergangene Woche vorgestellten Maßnahmen zum Bürokratieabbau sagt Theileis: „Dies ist richtig und wichtig. Aber zu einer echten Reduktion gehört, mehr Bürokratie abzubauen als neue aufzubauen. Das One-in-two-out-Prinzip muss konsequent umgesetzt werden. Laut Statistischem Bundesamt sind im Zeitraum zwischen 2014 und 2023 insgesamt 208 neue bundesrechtliche Vorgaben für die Agrarbranche eingeführt worden – davon allein 125 neue Informationspflichten. Im selben Zeitraum wurden jedoch nur 22 Vorgaben abgebaut und 35 vereinfacht.“ Als Negativbeispiel für die Weinbranche in Baden-Württemberg nennt er die von Landratsamt zu Landratsamt unterschiedlichen Antragsstellungen und Gebührensätze, wenn es um die Genehmigung einer Erhöhung der Wochenarbeitsstunden während der Lese geht. „Wir übernehmen dies als Dienstleistung für unsere Mitglieder und sehen daher die enormen lokalen Unterschiede.“
Pflanzenschutz ist existenziell
Positiv bewertet Theileis die Entwicklung bei den bundespolitischen Plänen zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes durch das „Zukunftsprogramm Pflanzenschutz“: „Es ist gut, dass die auf europäischer Ebene bereits durchgefallenen Pläne zu starren Reduktionszielen und pauschalen Verboten nicht national durchgesetzt werden sollen. Dies hätte verheerende Folgen gerade für Steillagen und unsere einzigartigen Kulturlandschaften gehabt.“ Die angestrebte engere Kooperation von Landwirtschaft und Naturschutz sowie der Fokus auf wissenschaftsbasierten und wirtschaftlich tragfähigen Konzepten unter Einsatz der digitalen und technischen Möglichkeiten sei der richtige Weg. „Dies muss nun aber auch so umgesetzt werden. Gerade das witterungsbedingt extrem herausfordernde Jahr 2024 hat deutlich vor Augen geführt, wie existenziell Pflanzenschutz ist“, unterstreicht Theileis.
Weinmanufaktur Stuttgart
Intensive Arbeit im Weinberg sind die Weingärtner der Weinmanufaktur Stuttgart gewohnt. Schließlich hat es sich die Genossenschaft auf die Fahnen geschrieben, komplett ohne Herbizide zu arbeiten, was ganz allgemein schon mehr mechanische Unterstockarbeit erfordert. „In diesem Jahr war die Arbeit für unsere rund 30 Weingärtnerfamilien witterungsbedingt noch aufwändiger“, betont Saskia Wörthwein, Geschäftsführerin und Vorstandssprecherin der Weinmanufaktur Stuttgart. Die Arbeit habe sich aber gelohnt: „Wir sind mit der Qualität zufrieden und freuen uns über im Vergleich zu den Vorjahren etwas leichtere Weine mit moderatem Alkoholgehalt“, so Wörthwein. Einbußen hat die Weingärtnergenossenschaft beim Ertrag: Auch Rebanlagen der Weinmanufaktur haben Frostschäden erlitten, vor allem beim Chardonnay, den weißen Burgundersorten und beim Lemberger.
Mit ihrer starken Ausrichtung auf Qualität und nachhaltiges Wirtschaften – seit dem Jahrgang 2019 wird die Weinmanufaktur mit dem europäischen Siegel für nachhaltigen Weinbau „Fair’n Green“ ausgezeichnet – ist die Genossenschaft erfolgreich im Direktvertrieb zum Endkunden, aber ebenso auch bei der Belieferung von Gastronomie und Events sowie des Fachhandels. „Natürlich ist auch der Lebensmitteleinzelhandel ein wichtiger Vertriebskanal für uns“, berichtet Wörthwein, die im direkten Kundenkontakt ein zunehmendes Qualitätsbewusstsein in der Bevölkerung erkennt, nicht zuletzt bei jüngeren Menschen: „Beratung und Weinproben sind immer mehr gefragt.“
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