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Fast vergessen: Verjus ist zurück

Innovative Produkte bieten Weinbaubetrieben neue Marktchancen. Die Ludwigsburgerin Nina Kurz hat sich das Thema Verjus vorgenommen: Im Rahmen einer Projektarbeit im Studiengang Wein-Technologie-Management an der DHBW Heilbronn hat sie eine Potenzialanalyse erstellt. Im Fokus: gehobene Gastronomie, Fachhandel und nachhaltiges Wirtschaften.

von Nina Kurz | DHBW Heilbronn Quelle DHBW erschienen am 03.09.2025
In Szenebars längst kein Geheimtipp mehr: Verjus kommt als fruchtig-saurer Gegenspieler in immer mehr Cocktails zum Einsatz. © DHBW Heilbronn
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In der französischen Küche fest verankert, in der arabischen Welt beliebt – und in Deutschland nahezu vergessen: Verjus, aus dem Französischen „vert jus“ (grüner Saft), war hierzulande bis ins 19. Jahrhundert unter dem Namen Agrest/Agraz ein gebräuchliches Würzmittel. Heute, im Zuge wachsender Trends wie Regionalität, Gesundheitsbewusstsein und Nachhaltigkeit, erlebt Verjus eine Renaissance. Anders als Essig ist er mild, fruchtbetont und stellt damit eine ideale Säurequelle in Getränken, Dressings und Saucen dar.

Ein „Abfallprodukt“ der Grünen Lese: Unreife Trauben sind das Ausgangsmaterial für Verjus.
Ein „Abfallprodukt“ der Grünen Lese: Unreife Trauben sind das Ausgangsmaterial für Verjus. © DHBW Heilbronn

Verjus wird durch das Pressen unreifer, meist grün geernteter Weintrauben gewonnen – oft im Rahmen der Grünen Lese zur Ertragsregulierung. Aus rund 100 Kilogramm Trauben lassen sich etwa 40 Liter Verjus gewinnen. Der Saft ist säurebetont, aber mild, er bietet ein komplexes Aromaprofil, das sich sensorisch zwischen Zitrone, Apfel und Weintraube bewegt.

Im Gegensatz zu Essig enthält Verjus keine flüchtige Säure (Essigsäure) und ist alkoholfrei. Für den Ausbau wird er in der Regel heiß pasteurisiert, kann aber auch kaltsteril abgefüllt werden, um Aromen besser zu erhalten. Es handelt sich nicht um ein Gärprodukt, sondern um ein primäres Traubenprodukt mit potenziellem Zusatznutzen für Betriebe und Marke.

Lexikon Verjus-Herstellung
  • Grünlese: Ernte unreifer Trauben (Juli/August)
  • Pressung: Schonende Saftgewinnung
  • Filtration: Entfernung von Trubstoffen
  • Pasteurisation oder kaltsterile Haltbarmachung
  • Abfüllung: In Flaschen oder Bag-in-Box

Innovation? Eher eine Renaissance!

Heute ist Verjus weltweit auf dem Vormarsch: In Frankreich, der Schweiz, Kalifornien, Australien und Südafrika existieren professionelle Produktionsbetriebe. In Deutschland erlebte das Produkt vor allem durch die Barszene ein Comeback. Trends wie Nachhaltigkeit, Regionalität, Gesundheit und alkoholfreier Genuss beflügeln die Nachfrage.

Ein zentrales Argument für Verjus ist seine ökologische Relevanz. Unreife Trauben, die im Zuge der Ertragsregulierung ohnehin entnommen werden, lassen sich durch Pressung und Pasteurisierung in ein hochwertiges Produkt verwandeln. Ohne zusätzlichen Flächenverbrauch oder neue Anpflanzungen wird damit ein Abfallprodukt zur Ressource. Besonders interessant: die Verwendung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten (PiWis), die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren.

Analysewerte Verjus im Labor-Check

Weinsäure: 20–30 g/l

Alkohol: 0,0 % vol

Fructose: sehr gering

Farbe: hellgrün bis goldgelb

Die Weinkellerei Wilhelm Kern im Remstal, ein traditionsreiches Familienunternehmen mit mehr als 150 Winzern und nachhaltiger Fair’n’Green-Zertifizierung, sieht sich optimal für die Verjus-Produktion aufgestellt. Die technischen Voraussetzungen sind gegeben, geeignete Rebsorten vorhanden, das Unternehmen verfügt über ein etabliertes Vertriebsnetz im Fachhandel und Lebensmitteleinzelhandel. Ziel ist es, auch in der gehobenen Gastronomie Fuß zu fassen und sich stärker im Fachhandel zu etablieren, konstatiert Kurz, die dort nach ihrem Studienabschluss den Vertrieb für die gehobene Gastronomie inklusive B2B-Veranstaltungen wie Messen und den Exportbereich verantwortet.

Macht sich mit ihrer Projektarbeit für Verjus als mögliche Einkommensquelle für Weingüter stark: DHBW-Absolventin und IHK-Barmixerin Nina Kurz.
Macht sich mit ihrer Projektarbeit für Verjus als mögliche Einkommensquelle für Weingüter stark: DHBW-Absolventin und IHK-Barmixerin Nina Kurz. © privat

Neuer Liebling der Bartender

Im Rahmen der Studie wurden Expertinnen und Experten aus Gastronomie und Produktion befragt – darunter Johannes Möhring (Charlatan Bar, München), Jakob Karberg (Avaa Verjus) und Pia Köfler (Gewinnerin „Made in GSA Competition 2023“). Ihre Einschätzung ist eindeutig: Verjus ist längst ein fester Bestandteil innovativer Barkonzepte – vor allem im Bereich alkoholfreier Cocktails („No & Low Alcohol“) oder sogenannter „Clarified Drinks“. Der Haken: Für Endverbraucher bleibt Verjus oft ein unbeschriebenes Blatt. Es fehlt an Bekanntheit und niedrigschwelligen Verwendungsbeispielen. Experten empfehlen, den Zugang über weiterverarbeitete Produkte wie Aperitifs, alkoholfreie Limonaden oder auch über innovative Gastronomiepartnerschaften zu schaffen. Denn: Der direkte Verkauf als Würzmittel ist bislang nur ein Nischengeschäft.

Verjus – ein echter Tausendsassa

In der Küche und Gastronomie:

  • Alternative für Zitronen- oder Limettensaft
  • Würzmittel für Dressings, Saucen und Marinaden
  • Basis für Aperitifs und alkoholfreie Drinks
  • Feinabstimmung in Desserts und Pâtisserie

Partner für Foodpairings:

  • Austern mit Verjus-Vinaigrette
  • Kalbstatar mit Verjus-Gelee
  • Sommer-Spritz mit Verjus, Soda und Rosmarin
  • Zitronentarte mit Verjus-Couli

Kleiner Markt, klare Zielgruppe

Die Verarbeitung von Verjus ist vergleichsweise unkompliziert: Pressen, Filtern, Pasteurisieren – fertig. Das Ergebnis ist ein alkoholfreies, histaminarmes, kalorienarmes und veganes Naturprodukt mit 20 bis 30 Gramm je Liter Weinsäure.

Aktuell ist Verjus in Deutschland ein Nischenprodukt mit zwei dominanten Marken, die vor allem in der gehobenen Gastronomie vertreten sind. Die Experteninterviews zeigen: Der Endverbrauchermarkt ist weitgehend unerschlossen. Die Studie identifiziert mehrere Expansionspfade:

  • Aperitif- und Spritzmarkt: Verjus als Basis für leichte Sommerdrinks
  • Alkoholfreie Limonaden: Positionierung im Health- und Wellness-Segment
  • Würzmittel in der Küche für die gehobene Gastronomie: als regionale Alternative zu Essig oder Zitrone
  • Ready-to-serve-Cocktails: besonders geeignet für Cocktailautomaten dank langer Haltbarkeit

Perspektive für den Markt

Die Ergebnisse der Potenzialanalyse deuten auf ein klares, wenn auch selektives Marktpotenzial: In der gehobenen Gastronomie, bei Feinkosthändlern und über Eventformate kann Verjus als innovatives, regionales und gesundes Produkt positioniert werden. Die Marktsituation ist zwar noch von geringen Wettbewerberzahlen geprägt – dies bietet Chancen für Differenzierung und Profilbildung. Auf langfristige Sicht prognostizieren die Experten eine zunehmende Etablierung von Verjus, möglicherweise sogar über den heutigen Nischenstatus hinaus. Für Winzer und Oenologen stellt Verjus eine wirtschaftlich sinnvolle, technologisch einfache und sensorisch attraktive Ergänzung zum klassischen Weinsortiment dar. Besonders in Zeiten von Nachhaltigkeitsorientierung, Diversifikation und bewusster Ernährung bietet Verjus die Chance, das Weingutprofil zu erweitern – mit einem Produkt, das tief in der Weingeschichte verwurzelt ist und zugleich moderne Trends trifft.

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